Die Tage am Schwarzen Meer sind vorbei, ab heute geht es wieder zurück in die generelle Richtung Sofia. Im Frühstücksraum kommt Dirk der Angestellte, der gestern das Brot nicht toasten wollte, direkt freudestrahlend entgegen: "We will toast your bread!" 🙂
Nach dem Frühstück packen wir fertig, ich bezahle das Handtuch, daß ich versehentlich an einer Lampe angekokelt habe, dann verabschieden wir uns und machen uns auf den Weg.
Die Fahrt nach Madara, genauer: zu dem Archäologischen Komplex von Madara dauert nicht sehr lange. An der Autobahn gibt es eine Ausschilderung, danach sind die Hinweise auf diese wichtige archäologische Stätte vergleichsweise dürftig.
Das Bedeutenste an Madara ist das Felsenrelief des Reiters, von dem wir ja schon eine Kopie in Sofia gesehen haben. Die ersten Stationen unseres Rundwegs sind jedoch einige Höhlen, die bereits im Neolithikum bewohnt wurden. Eine der Höhlen, die eher eine überhängende Felswand ist und in der man Zeugnisse menschlicher Nutzung aus thrakischer Zeit bis hin zu türkischen Tonpfeifen gefunden hat, wird heute wegen ihrer Akkustik gelegentlich für klassische Konzerte genutzt. Wir kommen hier mit einer kleinen Gruppe Deutscher und Bulgaren ins Gespräch und photographieren uns gegenseitig. (Die – sehr gut Deutsch sprechende – Bulgarin findet es mutig von uns, so alleine durch Bulgarien zu reisen. Wir fragen uns, warum eigentlich, die anderen sind ja offensichtlich auch privat in einer nur kleinen Gruppe unterwegs.)
Danach führt der Weg weiter zu besagtem Felsenrelief eines Reiters in annähernd Lebensgröße, das dort, in 20 Metern Höhe, vermutlich Anfang des 8. Jahrhunderts in die steile Felswand gemeißelt wurde. Dieses einzige derartige frühmittelalterliche Monumentalrelief Europas, das früher überputzt und sicherlich farbig gestaltet war, wurde vermutlich zur Ehrung des Khans Tervel gefertigt, der Anfang des 8. Jahrhunderts erfolgreich für die Festigung und Ausweitung des Ersten Bulgarischen Reiches gekämpft hatte. Während ich das aus unserem Baedecker vortrage, liest der Mann drüben auf der anderen Bank seiner Frau bestimmt gerade aus dem Baedecker, den er in der Hand hält, genau die gleiche Stelle vor. 🙂
Das Relief ist hier übrigens besser zu sehen, als in der Kopie in Sofia.
Die dritte Station, eine Festung hoch oben auf den Felsen oberhalb des Reiters, deren Anfänge im 5. Jahrhundert liegen, besucht Dirk alleine, weil ich die zahllosen ziemlich hohen Stufen meinem Arthrosegelenk nicht antun will. Der Marsch zum Aladscha-Kloster gestern und zurück hat schon gereicht. Ich warte solange in ziemlich dürftigem Schatten, der nur bedingt vor der sengenden Sonne schützt, schreibe diesen Text bis zu dieser Stelle und leide in Gedanken mit denjenigen mit, die sich bei diesen Temperaturen da hoch quälen. Der Ausblick über das Dorf Madara und die Donau-Ebene ist auch von der Stelle, bis zu der ich mitgekommen bin, schon ziemlich klasse. (Brilliantes Timing: In diesem Moment kommt Dirk wieder hier unten an. Er sagt, die Kraxelei hat sich gelohnt, bin gespannt auf die Photos.)
Den Abschluß des Rundgangs bilden einige heidnische Kultstätten und Fundamentreste u. a. einer Basilika, die über einer dieser Stätten errichtet wurde, aber wir können nicht so richtig erkennen, was was ist. Einer Legende zufolge kann man Energie aufladen, wenn man bei einer der Kultstätten im Morgengrauen barfuß durchs Gras läuft, wir beschließen aber, trotzdem heute weiterzufahren. 🙂
Nach kurzem überlegen entscheiden wir, nicht direkt nach Kasanlak zu fahren, sondern erst Veliko Tarnovo, der vierten Hauptstadt Bulgariens im Laufe seiner bewegten Geschichte, einen Besuch abzustatten und uns dort ein Hotel zu suchen. Sie soll eine der reizvollsten Städte Bulgariens sein, und auf einem ihrer drei Hügel sollen substantielle Reste einer mittelalterliche Feste erhalten sein.
Auf der Fahrt dorthin sehen wir immer wieder Kühe, auch mal einen Esel, die weder eingezäunt noch angebunden und unbeaufsichtigt direkt neben der Straße grasen – und zwar durchaus auch an stärker befahrenen Landstraßen!
Unser Navi führt uns über zum Teil etwas abenteuerliche Straßen. Einmal sitzen ein Stück jenseits eines Dorfes ein paar Leute im Schatten eines Baumes – mitten auf unserer Seite der Fahrbahn! Offenbar fahren hier nicht sehr viele Wagen entlang. Bald wissen wir auch, warum: kurz darauf ist die Fahrbahn dermaßen durchlöchert, daß wir nur noch Schlangenlinien fahren können – und zwar gaaaanz langsam. Schrittempo ist fast schon zu viel.
Auch die weiteren Straßen werden wieder von den üblichen Schlaglöchern geziert, die aber teilweise im Spiel von Licht und Schatten, das die Sonne durch die Äste der am Straßenrand stehenden Bäume auf den Asphalt wirft, praktisch nicht zu erkennen sind, was dem Auto ein paar heftige Schläge einträgt.
Einer der Höhepunkte auf dieser Fahrt ist ein Dorf, das mehrere Storchenpaare und ihren Nachwuchs beherbergt. Alleine an der Straße, auf der wir den Ort passieren, sehen wir auf den Masten der Straßenbeleuchtung vier Nester mit den fast ausgewachsenen Jungvögeln und manchmal auch einem Elternteil.
Und wieder fällt uns auf, wie wenige alte Burgen und Festungen es in Bulgarien gibt im Vergleich zu Deutschland. Dirk kommt der einleuchtend klingende Gedanke, daß das vermutlich an der ein halbes Jahrtausend währenden Zugehörigkeit zum riesigen, zentral regierten osmanischen Reich liegt, die ja bis zum Ende des 19. Jahrhunderts währte. Hier brauchte nicht jedes Kleinfürstentum seine eigenen Festen für die Verteidigung gegen die benachbarten anderen Kleinfürstentümer, wie es in deutschen Landen lange Zeit der Fall war.
Auf dem letzten Teil der Strecke nehmen wir ein junges Paar mit, das mit uns bis Tarnovo fährt, um von da noch die 110 km bis Russe weiter zu trampen. Die beiden sind sehr nett, wobei nur er spricht, weil sie sich wegen ihres Englisch nicht traut. Wir erzählen ein bißchen, wo wir gewesen sind, er gibt uns ein paar Tips, was wir anschauen sollten und wie man richtig danke sagt :-), und wir unterhalten über andere Länder, in denen wir gewesen sind. Er ist Kontrabass-Spieler und hat in Tarnovo Musik studiert, wie sich herausstellt.
In Tarnovo setzen wir die beiden ab und versuchen dann, das Hostel zu finden, daß der junge Mann uns empfohlen hat, aber er wußte den Namen nicht mehr, und in der fraglichen Straße reiht sich ein Hotel an das nächste. Das vom Baedecker empfohlene günstige Hotel liegt in einem Viertel, in dem uns die Wahrscheinlichkeit, unser Auto am nächsten Tag heil wiederzufinden, nicht groß genug scheint. Wir entscheiden uns schließlich für das "Hotel Real", das die wichtigen Vorzüge Klimaanlage, Frühstück und eine abgetrennte Duschkabine (!) bietet. 🙂 Außerdem ist es ganz neu und hat W-LAN, aber letzteres hatten, bis auf unsere Unterkunft in Bansko, alle Hotels. Und es liegt absolut zentral. Eine endgültige Beurteilung gibt es morgen von Dirk, wenn wir gefrühstückt haben.
Was freies W-LAN angeht, ist Bulgarien übrigens noch ein Paradies. Wir haben bisher in den meisten Restaurants und in vielen Straßen ein offenes W-LAN vorgefunden.
Nachdem wir eingecheckt und uns geduscht haben, gehen wir noch durch ein paar Straßen der Altstadt, die teilweise – für bulgarische Verhältnisse – ziemlich gut saniert sind. Besonders hübsch ist die "Samovodska Tscharschija", die älteste Handelsstraße der Stadt, in der man tagsüber Werkstätten und Geschäfte des 19. Jahrhunderts besichtigen kann. Jetzt allerdings sind die Läden alle schon geschlossen, und morgen werden wir vermutlich leider auch nicht mehr dazu kommen. Insgesamt gewinnen wir heute Abend den Eindruck einer Stadt mit einem sehr lebendigen Flair, die uns von allen bisher besuchten am besten gefällt. Hier wollen wir bei Gelegenheit mehr Zeit verbringen.
Wir suchen uns für unser Abendessen ein Lokal, wo man draußen sitzen kann. Dort entdecken wir auch endlich die Pflanze, deren intensiver Duft uns schon in Plovdiv an allen Ecken und Enden aufgefallen war, ohne daß wir den Verursacher identifizieren konnten: Es handelt sich um eine Linde, deren Blüten optisch so unauffällig sind (Lindenblüte eben), daß man sie nicht automatisch mit diesem alles übertönenden Duft in Verbindung bringt.
Danach ist es Zeit fürs Bett, denn wir sind beide müde.